Die Winterreise

Franz Schuberts „Winterreise“ mit Jörg Gottschick (Bariton, auswendig singend) und der sehr sensiblen Begleitung von Christiane Kroeker am Klavier, war ein besonderes Erlebnis. Eine hochkarätige Interpretationen der Winterreise in der Peripherie, in Gatersleben, im nördlichen Harz, etwa 2200 Einwohner, 130 Firmensitze. Der Ort: Leibnitz-Institut, Hörsaal, Donnerstag 25. Oktober 2018, 19.30 Uhr. Nach dem Krieg wurde in Gatersleben ein großes Forschungszentrum für Genetik und Kulturpflanzenforschung ausgebaut. Mit einem Gesamtbestand von 151.002 Mustern aus 3.212 Arten und 776 Gattungen zählt die Genbank des IPK (Leibnitz Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung), zu den weltweit größten Einrichtungen ihrer Art. Laut Eigenauskunft leistet: „Die Genbank einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung des Aussterbens (Generosion) von Kulturpflanzen und von mit ihnen verwandten Wildarten. Hier erfolgen die Sammlung, Erhaltung, Charakterisierung, Evaluierung und Dokumentation pflanzengenetischer Ressourcen.“, und das Institut befindet sich „in der Nähe von Berliner Flughäfen“, na ja:  aus dem benachbarten nahen Quedlinburg (UNESCO-Welterbe) sind wir, die einzigen Gäste gewesen.

„Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus“ – mit diesen Versen beginnt die „Winterreise“ von Schubert. Das Gehen ist das Hauptmotiv der Winterreise. Ein junger verliebter Mann erlebt dabei in 24 Wegstecken Stimmungsschwankungen von Liebeszauber bis zur Verzweiflung.

Die Etappen, die in Dur besetzt sind heißen: Das Wirtshaus, Täuschung, Im Dorfe, letzte Hoffnung, Die Post, Frühlingstraum, der Lindenbaum.

Im traurigen Moll: Gute Nacht, Die Wetterfahne, Gefror’ne Thränen, Erstarrung, Wasserfluth, Auf dem Flusse, Einsamkeit, Der greise Kopf, die Krähe, der stürmische Morgen, der Wegweiser, Muth, die Nebensonnen, der Leiermann. Ob Dur oder Moll, das Gehen, der Rhythmus des Schreitens zieht sich wie ein lang gespannter Bogen durch alle Lieder. Franz Schubert komponierte im Herbst 1827 den Liederzyklus zu dem Text von Wilhelm Müller. Es war ein Jahr vor seinem Tod, Schubert starb im Alter von 30 Jahren.

Ein ungewöhnlicher Ort für ein Konzert, hinter einer Sicherheitsschleuse, im Hörsaal, neben dem Casino, auf dem im Dunkeln etwas militärisch anmutendem Gelände. Etwa 60 ältere Zuhörer, meist älterer Frauen und Witwen, die auch, aufgrund ihrer Erfahrungen ihres bereits langen Lebens, von den Stimmungen der Lieder emotional sichtlich eingeholt wurden. Zwei interessierte junge Landwirte senkten das Durchschnittsalter. Auf deren Frage: Kommst Du aus dem Osten oder Westen“ antwortete ich irritiert: Ich komme aus Holland.“ Ob der Ost-West-Unterschied der Lebenserwartung nach der Berechnung von 2007 noch immer bei 1,4 Jahren liegt frage ich mich. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei Männern bei 78,36 Jahre und Frauen bei 83,18 Jahre.

Was macht der Cousin und die Cousine in Gatersleben? Sie treten gemeinsam auf. „Das Stück läuft dann von alleine, wenn man verwandt ist“, sagte die in schwarzem Gehrock gekleidete Pianistin C. Kroeker nach ihrem Auftritt im Casino des Instituts. Der Onkel, Martin Peisker mit Forschungsschwerpunkt Biophysics of photosynthesis“ schenkte sich zum Geburtstag den Auftritts, der Freundeskreis des Instituts organisierten ihn.

Mit der Frage „Willst zu meinen Liedern deine Leier dreh’n?“ endet die „Winterreise“.

Empfehlen möchte ich in der Winterzeit, wenn nicht im Original einmal zu erleben, im Internet mit dem Sänger Peter Schreier,  die Lautstärke dann bitte ganz aufdrehen…

PS: Herzlichen Dank an Helmuth Fromme für die Blumen und seiner Lebensfreude mit 86 Jahren!

Bariton Jörg Gottschick und Dr. Martin Peisker im Casino, Foto: BK

 

vor 5 Jahren