Geistige Obdachlosigkeit – Die Medien sollen den Bürger und Bürgerinnen Angebote machen

Die zentrale Frage: „Welche Medienqualität braucht eine demokratische Gesellschaft?“ wird auf dem Symposium des Deutschen Medienrats nicht beantwortet.

Nachdem Frank Smeddinck (Ministerialdirigent und Dienststellenleiter der Landesvertretung Sachsen-Anhalt beim Bund in Berlin) den Strukturwandel der Öffentlichkeit im Kontext der Medien anspricht, macht Susanne Keuchel (Präsidentin des Deutschen Kulturrats) sich für Demokratische Prinzipien stark, die, so Keuchel „im Internet noch nicht selbstverständlich sind…“, sie sagt: „Demokratie lebe von Respekt und der Achtung vor der Meinung des Anderen.“ Sie betont, dass der Öffentlich-rechtliche Rundfunk kein Staatsfunk sei, sondern eine „Stimme der Demokratie, politisch und wirtschaftlich unabhängig“. So plädiert sie für den Medienstaatsvertrag, der eine Gegenposition zu den Medienmogulen wie Google, Amazon, FaceBook & Co bilden kann.

Zwei Fragen stehen im Mittelpunkt der Veranstaltung

Erste Frage: Wie kann die Demokratie im Netz erhalten bleiben oder verstärkt werden? Man sieht die unübersehbare Gefahr, dass – Zuschauerinteresse (Consumer Value) und Allgemeinwohl (Public Value) – gegeneinander ausgespielt werden. Wie können Zuschauerinteresse und Allgemeinwohl im Gesamtsystem so ausbalanciert werden, dass die medialen Voraussetzungen für unser demokratisches System erhalten bleiben oder sogar noch gestärkt werden?

Zweite Frage: Inwiefern müssen die Rollen, Aufgaben und Ressourcen der einzelnen Medienanbieter auf dem deutschen Markt angepasst werden, um dieses Ziel im Gesamtsystem zu erreichen?

„Demokratie bedeutet enorme Anstrengungen“

Dies sagt Barbara Thomaß (Medienwissenschaftlerin der Ruhr-Universität Bochum) in ihrem Vortrag. Sie vergleicht Mediensysteme im internationalen Vergleich und sagt, dass sie die Frage, welche Medienquallität man benötigt, nicht beantworten werde. Deutschland stehe im internationalen Vergleich noch ganz gut da, doch seien die großen Ditigalplattformen, die Sozialen Medienbereiche für den Zustand der Demokratie besorgniserregend.

Die Medienpolitik soll ein Scharnier² sein 

„An die Medien werde hohe Erwartungen gestellt. Sie sind im Hinblick auf die Demokratie ein zweischneidiges Schwert: Einerseits liegen in ihr demokratiestiftende Fähigkeiten und andererseits sind sie ein hochlukrativer Markt.“ Die Aufgabe der Medienpolitik, so Thomaß, sei es, diesen Bereich auszubalancieren. Sie sollen ein Scharnier sein, um hier Aufklärung zu betreiben, aufzuzeigen was sinnvoll ist aber auch, was finanziell sinnvoll ist etc.

Eine Gefahr der Medien sei, so Thomaß, die Entfremdung zwischen den Bevölkerungsgruppen, was zu weiteren sozialen Spaltungen führe. Die Plattformenökonomie ist eine Aufmerksamkeitsökonomie. Gefährlich sei das Mikrotargeting: Der öffentliche Meinungsraum wird beeinflusst, die Algorithmenführen „passgenaues Werben“ ein“, das beispielsweise seit den amerikanischen Wahlkämpfen von Barack Obama genutzt wurde. In Zeiten von Fake-News und Rechtspopulismus sagt Thomaß: „Gut wäre da eine öffentliche Suchmaschine, um einen digitalen Raum öffentlicher Kommunikation zu schaffen, der nicht beschnitten wird.“ Thomaß erwähnt hier ihre Erfahrung mit „European Public Open Space (EPOS)als Modell einer europäische Medienplattform, die gegen Medienmogule bestehen kann.

Thomaß hält die „Filterblase“ für Deutschland für noch nicht wirksam, da in Deutschland ein Repertoire an Medien vorhanden ist. Den Begriff „Filterblase“ prägt Eli Pariser in seinem gleichnamigen Buch, Pariser sagte bereits 2011 „Eine Welt, die aus dem Bekannten konstruiert ist, ist eine Welt, in der es nichts mehr zu lernen gibt … [weil] es eine unsichtbare Autopropaganda gibt, die uns mit unseren eigenen Ideen indoktriniert.“[2]

Man sollte sich fragen, wie man gute Informationen und Unterhaltung garantiert und multiperspektivischeBegegnungen schafft, als Reaktion auf den Mangel an anspruchsvollenInformationen und Dokumentarbeiträgen. Barbara Thomaß ist auch Mitglied des ZDF-Verwaltungsrates und war Unterzeichnerin der „Zehn Thesen zur Zukunft öffentlich-rechtlicher Medien“. Darin wird unter anderem ein stärkerer Beitrag Öffentlich-rechtlicher Anbieter zur europäischen Meinungsbildung gefordert.

Zu den vier konstitutiven Elementen von EPOS rechnet sie die Öffentlich-rechtlichen Medien, Wissensinstitutionen wie die virtuelle Bibliothek Europeana, zivilgesellschaftliche Einrichtungen wie Wikipedia sowie die Bürger selbst. Als europaweite Plattform solle EPOS über ein gemeinsames Wertesystem verfügen. Als unverzichtbar nannte Thomaß Demokratierelevanz, Nichtkommerzialität, Datensicherheit, Nutzerkompetenz, Vernetzungsoffenheit sowie inhaltliche Vielfalt.

„Wir brauchen den Diskurs, welche Medien wir wann benötigen und was wir davon erwarten. Gerade an den Grenzen, bei den Fachthemen, gibt zu wenig Austausch darüber. Es gibt Defizite an Auseinandersetzungen, an ansprechenden Politik- und Diskussionsendungen zu besseren Uhrzeiten. Unter welchen Bedingungen werden die Inhalte nachgefragt – in der Nacht?“

Haltung zeigen: „Wir brauchen mehr Inhalte, die Beispiele fördern, die das respektvolle Miteinander abbilden.“

Thomaß sagt, die Medien sollen eine Demokratie auf den Grundfesten von Freiheit und Gleichheit bieten (insbesondere der demokratische Zugang zu Informationen). Das Demokratische Prinzip ist bisher noch das beste Prinzip, das sie kennt, nämlich „in der Kontrolle aller Institutionen auf den Grundfesten von Wissen und Haltung (Emphatie). Die Haltung in einer Demokratie ist etwas diskursives, das heißt, unterschiedliche Meinungen gelten lassen, zuhören, modern sein, liberal sein, zuhören, Stellung beziehen, nicht nur nüchtern sein, vielfältig sein, wichtig sein … Wenn Medien Angebote machen, muss sicher sein, dass diese verlässlich und transparent sind und unterschiedliche Perspektiven aufzeigen, sowie politische Prozesse darstellen und die wirklichen Probleme und Angelegenheiten der Bürger und Bürgerinnen abbilden.“

Dazu gehören, so Thomaß, „die ‘sogenannten Sozialen Medien‘, die ja nicht sozial seien, da ihr Umfeld von Inhalten und Werbung umgeben ist, das bezahlt werde.“

Ihre Idee: Die Öffentlichen Rundfunksender sind auch in den Sozialen Medien vertreten. Dort wird für die Werbung noch einmal bezahlt, obwohl die Werbung bereits von dem Öffentlich-rechtlichen Rundfunk bezahlt ist. Dieses Geld könnte man in einen Fond geben und damit Initiativen und Produktlinien finanzieren, mit denen Medienmacher im Bereich Freiheit, Gleichheit, Chancengleichheit und gegen Machtmissbrauch arbeiten. Hier können beispielsweise Themen untersucht werden, welche Rollen die Medien in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen spielen. „Die Bürger und Bürgerinnen müssen mitgenommen werden. Die Medienpolitik ist das Scharnier zwischen diesen Ansprüchen, sie soll vermitteln. Die Vertreter in den Rundfunkräten muss man herausfordern, damit mehr Inhalte geschaltet werden.“

Deutsche Medienrat: Hintergrundgedanken

„Von lokalen Medien- und Kulturanbietern sowie dem ÖRR wird verlangt, auf den mündigen, aufgeklärten Bürger zu setzen und möglichst viele Menschen mit inhaltlich ausgewogenen Public-Value Programminhalten zu erreichen. Ihre Rolle besteht nicht zuletzt darin, Informationsasymmetrien innerhalb der Gesellschaft abzubauen, damit das für den demokratischen Prozess unersetzliche gesellschaftliche Miteinander überhaupt noch möglich bleibt.

Auf der anderen Seite stellen viele private Medienangebote eher auf die kurzfristigen Bedürfnisse des Publikums ab. Hintergründige Informationen, kulturell vielfältige und bildende Inhalte treten dabei hinter emotional ansprechenden Unterhaltungsinhalten zurück. Hinzu kommen international agierende Propagandasender, die zum Zwecke der politischen Einflussnahme gezielt Desinformation betreiben. In der Ansprache des Publikums geben diese Akteure aber nicht selten Inhalte, Ton und Tempo vor, indem sie vereinfachen, zuspitzen und teilweise sogar bewusst verfälschen. Als Folge daraus wird der öffentliche Diskurs zunehmend von einer affektgesteuerten Atmosphäre bestimmt, in der sich Fiktionen und Fakten undurchschaubar mischen und der Unterhaltungs-Wert zum entscheidenden Maßstab wird.

In dieser Phase des Wandels, in der sich der ökonomische Wettbewerbsdruck im Medienmarkt intensiviert, reagiert die deutsche Medienpolitik und plant derzeit die Umgestaltung der Medienordnung. Neue gesetzliche Regelungen sowohl für private als auch für öffentlich-rechtliche audiovisuelle Medien sollen das Verhältnis untereinander als auch zu den Plattformen und Intermediären neu ausloten.“

Elisabeth Motschmann (Sprecherin für Kultur und Medien der CDU/CSU-Bundestagsfraktion) und Moderator und Initiator Dr. Thorolf Lipp (Deutscher Medienrat), Frau Motschmann hält eine internationale Lösung im Kontext des Medienstaatsvertrages für unerlässlich. Foto: B. Klompmaker

Der Dokumentarfilmer Thorolf Lipp, Organisator des Symposiums für den Deutschen Medienrat, fragt sich, wie das „öffentliche demokratischere System“ denn ausgeweitet werden kann, wenn sich noch nicht einmal ARD und ZDF über eine öffentliche rechtliche Plattform einigen können. Man merkt ihm eine Verzweiflung darüber an: er findet vieles überfällig. Er fragt sich, wie die Entscheider, die Gremien und Räte zu professionalisieren sind, um zu umfassenderen wichtigen Entscheidungen zu kommen.

Schlussbeobachtung: Einig sind sich RTL und ZDF, wenn sie am Mobiltelefon kleben. Claus G. (RTL Deutschland GmbH) und Peter W. (ZDF), Teilnehmer des Symposiums sitzen vorne in der Stuhlreihe und wischen und tippen. Ist es ein Zeichen von der Suchtqualität des Handys, mangelndem Respekt vor Vortragenden und Teilnehmern oder hatten die beiden Männer Langeweile? Dabei empfehlen schon Pädagogen: Eltern sollten ihren Kindern besser den richtigen Umgang mit Medien und Smartphones beibringen. Seit dem Handyzeitalter sinkt der IQ der Kinder jährlich. Von der hohen Zahlen der Handynutzung auf der Toilette  wollen wir hier nicht sprechen…

Die politische Denkerin Hannah Arendt sagt zum Thema Wagnis der Öffentlichkeit“: „Herr vergib ihnen, was sie tun, denn sie wissen nicht, was sie tun. Das gilt für alles Handeln. Einfach ganz konkret, weil man es nicht wissen kann. Das ist ein Wagnis. Und nun würde ich sagen, daß dieses Wagnis nur möglich ist im Vertrauen auf die Menschen. Das heißt, in einem – schwer genau zu fassenden, aber grundsätzlichen – Vertrauen auf das Menschliche aller Menschen. Anders könnte man es nicht.“ Hannah Arendt (Interview Günter Gaus vom 28.10.1964)

In der Medienpolitik müssen Menschen Wagnisse eingehen und gemeinsam Entscheidungen treffen. Wichtig: einen klaren Kopf behalten, die Überforderung der digitalen Transformation ist eh da – da nützt es nicht den Kopf in den Sand zu steckend und zu erstarren – Lautlos 

 

  • 1. Den Begriff „Geistige Obdachlosigkeit“ verwendet Barbara Thomaß in Ihrem Impulsvortrag. Er ist ihr in einem Zeitungsartikel begegnet, sagt sie. Er beschreib meiner Meinung nach die Ursache der besorgniserregenden Unzufriedenheit und das rechte Ausgrenzungsgehabe von Bürger und Bürgerinnen, die völkisch nationale Parteien wählen.
  • 2. Scharnier: zur Herstellung einer beweglichen Verbindung (z. B. zwischen Tür und Rahmen) dienender Beschlag o. Ä., bei dem zwei Elemente durch einen Stift o. Ä. so miteinander verbunden sind, dass sie sich um dessen Längsachse drehen können. In: duden.de/rechtschreibung/Beschlag
  • 3. Eli Pariser: Invisible sieve: Hidden, specially for you. In: The Economist. 30. Juni 2011; Zitat: „Mr Pariser’s book provides a survey of the internet’s evolution towards personalisation, examines how presenting information alters the way in which it is perceived and concludes with prescriptions for bursting the filter bubble that surrounds each user.“
Der Kameramann. Eine gute Safari-Weste ist vor allem robust und praktisch. Sie verfügt über zahlreiche Taschen, die über die gesamte Weste verteilt sind. Am Rücken haben die Jacken ein extra großes Fach: Die Pattentasche. Wie tauglich die Weste in Bezug auf Medienquallität ist, weiss ich noch nicht. Foto: B. Klompmaker

Text und Fotos: B. Klompmaker. Herzlicher Dank an Helga Kudiabor.

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Deutscher Medienrat, Symposium am Dienstag den 22.10.2019 von 10:00 bis 18:00 Uhr in der Landesvertretung des Landes Sachsen-Anhalt in der Luisenstrasse 18 in Berlin.

Programm:

    • 10:00 Uhr
    • Begrüßung 

      Jan Herchenröder (VDD) & Prof. Karl Karst (WDR)
      Sprecher des Deutschen Medienrates

      Grußwort
      Ministerialdirigent Frank Smeddinck
      Dienststellenleiter der Landesvertretung Sachsen-Anhalt beim Bund

      Grußwort
      Prof. Dr. Susanne Keuchel
      Präsidentin des Deutschen Kulturrats

    • 10:30 Uhr
    • Impulsvortrag

      Prof. Dr. Barbara Thomaß (Ruhr-Universität Bochum)
      Professur für Mediensysteme im internationalen Vergleich

      Welche Medienqualität braucht die Demokratie?
      Und wo ist sie gefährdet?

    • 11:00 Uhr
    • Diskussion/ Nachfragen aus dem Publikum

    • 11:15 Uhr
    • Case Studies

      Wie gehen Medienschaffende mit dem Dilemma zwischen Consumer Value und Public-Value um?

      GAMES (game)
      Through the Darkest of Times – ziviler Widerstand gegen
      den Nationalsozialismus als historisches Computerspiel.
      Jörg Friedrich
      Game Designer (Paintbucket Games)

      PRIVATER RUNDFUNK (VAUNET)
      Public Value im privaten Rundfunk am Beispiel der
      Mediengruppe RTL, Case Study: Verifizierungsteam
      Claus Grewenig
      Bereichsleiter Medienpolitik Mediengruppe
      (RTL Deutschland GmbH)

      ÖFFENTLICH-RECHTLICHER RUNDFUNK
      Das ARD/ZDF-Korrespondentennetz – Public Value und Consumer Value
      Thomas Nehls
      (ehem. ARD-Radiokorrespondent in den USA)

      FILM FIKTION (SPIO)
      Der Kinofilm – Kultur für alle. Über das Spannungsverhältnis von Consumer Value und Public Value im Bereich Kinofilm
      Dr. Thomas Negele
      Präsident (SPIO)

      FILM NONFIKTION (AGDOK)
      „Schwierige“ Filme: über das Potential dokumentarischen Erzählens für eine gelingende Demokratie
      Susanne Binninger
      Regisseurin (AG DOK)

    • 12:00 Uhr
    • Mittagspause

    • 13:30 Uhr
    • Panel I

      Runde mit Case-Studies Vortragenden und Fachpolitikern der Bundesebene (medienpolitische Sprecher der Fraktionen des Deutschen Bundestages).

      Neue Impulse für unsere Medienordnung?
      Wie können sie aussehen, was sollen sie bewirken?

      CDU/CSU: Elisabeth Motschmann, MdB
      SPD: Martin Rabanus, MdB
      FDP: Thomas Hacker, MdB
      Die Linke: Doris Achelwilm, MdB
      Bündnis 90/Die Grünen: Margit Stumpp, MdB

      Moderation: Dr. Thorolf Lipp (Deutscher Medienrat)

    • 14:30 Uhr
    • Nachfragen aus dem Publikum

    • 15:00 Uhr
    • Kaffepause 

    • 15:30 Uhr
    • Panel II

      Runde mit Landespolitikern und Experten

      Ist eine politisch verordnete Qualitätsoffensive des Rundfunksystems in Deutschland durch eine Präzisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen möglich?

      Prof. Dr. Hubertus Gersdorf
      Professor für Medienrecht (Universität Leipzig)

      Dirk Pohlmann
      Medienkritiker, Autor und Produzent

      Dr. Nadine Plath
      Referentin für Rundfunk-, Medien- und Netzpolitik in der Senatskanzlei Berlin

      Volker Ratzmann
      Staatssekretär, Bevollmächtigter des Landes BW beim Bund

      John Weitzmann
      Teamleiter Politik und Recht, Wikimedia Deutschland e. V.

      Moderation: Dr. Thorolf Lipp (Deutscher Medienrat)

       

      Fries im Saal der Landesvertretung des Landes Sachsen-Anhalt in der Luisenstrasse 18, Berlin. Foto: B. Klompmaker

       

vor 4 Jahren