„Thomas Hubers surreales Grün – von AU-AU nach AH-AH“
Fritz Schwegler, bei dem Thomas Huber in den 1980er Jahren an der Kunstakademie Düsseldorf studiert hat, behauptete von sich, er könne seine Bilder singen – was er auch begleitet von Flöte und Tanz tat.
Wie bei Schwegler sind im Werk Hubers Person, Leben, Bild und Präsentationsform auf besondere Art und Weise miteinander verbunden. Hubers Bilder sind in einen Kanon von Kommentaren und Texten, Künstlerreden, sich selbst zitierenden Ausstellungen und Künstlerbüchern eingebettet.
„Thomas Huber ist Magritte ohne Surrealismus“, sagte Jan Hoet,
Gründungsdirektor von Marta Herford, anlässlich Hubers Wanderausstellung „rauten traurig“. Zu sehen waren menschenleere architektonische Bildkonstruktionen, deren Grundmotiv die Raute ist. Huber hat beide Wörter des Ausstellungstitels „rauten traurig“ kleingeschrieben, in einem Atemzug ausgesprochen wird der Laut AU-AU hörbar. Die Raute wird in der Verbform zu etwas, das geschieht, zu etwas, was das Bildmotiv tun oder auslösen kann. Huber lotet die Möglichkeiten und Grenzen von Bildern aus. Dabei nutzt er das Repertoire und die Zwischenräume von Bild, Wort und Sprache. Diese Verbindungen sind ein Schüssel für sein Werkverständnis.
Kein Text, keine Rede von Thomas Huber kommentiert bislang das große Ölbild (2 x 2,80 m) aus dem Jahr 2010. Der kurze Titel AH-AH, eher Laut als Wort, ist wie das versteckte AU-AU in „rauten traurig“ ein Zweiklang, der sich in der Bilddarstellung als vorangestellter Dualismus wiederfindet: in der Bewegung des in der Vorstellung sich entfaltende Hin und Her der Schaukel, der zwei Personen Kind und Frau, der zwei Raumöffnungen, grüner und grauer Raumteil. Die Buchstaben A und H sind zudem graphisch in das Bild getreten: Die As versteckt in den grünen Außenteilen des Schaukelgerüsts, die Hs in den grünen Beinkonstruktionen der Sitzbank.
Hauptpersonen des Bildes sind ein kleiner Junge auf einer grünen Schaukel und eine Frau auf einer Bank, die eher an eine Betreuerin als an eine Mutter denken lässt. Die Schaukelszene spielt sich in einem kargen Innenraum ab, der an einen Rohbau erinnert. Die Szenerie ist zweigeteilt und durch Farben gegliedert. Das Grün links im Sichtfeld des schaukelnden Jungen entfaltet eine intensive Farbwirkung im Gegenüber zum hellgrauen Raumbereich rechts. Dort sitzt die Frau mit blondem Pferdeschwanz, Faltenminirock und weißer Bluse. Die Beine eng nebeneinander gestellt, sitzt sie auf dem Rand einer schlichten Bank und betrachtet das schaukelnde Kind. Sie wirkt verloren, hat keinen direkten Kontakt zum Kind. Der Boden des Raumes und auch die Sitzbretter von Bank und Schaukel sind braun. Auch die Schuhe von Kind und Frau sind in dem erdigen Farbton gehalten. Lediglich über diese „untergründige“ Farbbrücke besteht eine Verbindung zwischen den beiden.
Seit 1985 stellt Thomas Huber Kinder in Verbindung mit Frauen in seinen Bildern dar, es waren oft Familienbildnisse, die in den 1980er Jahren eher noch tabuisiert waren. Seine Gesellschaftskritik liest man in Hubers damaligen wortgewaltigen Text „Der erotische Blick“ (1992): „Der Unschuld des Kindergesichts entspricht die ursächliche Schuld seines In-der-Welt-Seins. Die bald darauf folgende Vernachlässigung des Kindes, zu der die Gesellschaft die Eltern nach einer gesetzlichen Schonfrist zwingt, die Wohnsituation, der Straßenverkehr, die Arbeitszeiten, sind unausweichliche Vorformen der Kindesmisshandlung, eine Form des Widerrufs der Zeugungskraft.“
Nach veränderten Lebens- und Werkphasen malt Huber 2010 das Bild AH-AH. Es gehört zur Werkgruppe „Rette sich wer kann/ Sauve qui peut“ und entstand nach einer Phase des intensiven Studiums philosophischer und psychologischer Literatur. Die Farbe Grün, die nahezu die Hälfte des Bildes ausmacht, spielt eine zentrale Rolle in dem klar konstruierten Bild. „Bilder brauchten Spannung, so dass sie angerührt zu schwingen anfangen. Du würdest auf den Bildern trommeln. Die Farben des Bildes würdest Du trommeln. Schwingen lassen würdest Du die Farben des Bildes. Dann würden die Farben fliegen. Höher und immer höher würden die Farben fliegen, im Rhythmus zur Trommel würde die Figur hin und herschaukeln. Hin und her und hin und her. Und immer höher fliegt die Figur. Hinein ins Bild und hinaus aus dem Bild …“ Huber bringt in einem Text zum Bild „Jakobs Traum“ (1997) Farbe und Schaukelrhythmus in Zusammenhang. In jedem Menschen ist die Erfahrung des Schaukelns von Beginn an als eine archaische Erfahrung angelegt, im Mutterleib, beim Ein- und Ausatmen, beim Gehen, beim Lieben. Doch Achtung: Hubers Bilder haben Risiken und Nebenwirkungen, so musste eine Druckgraphik mit einem ähnlichen zweigeteilten Farbraum mit Kinddarstellung in einer psychiatrischen Praxis abgehängt werden, da es mehrere Patienten einsamer und trauriger stimmte.
Ein Kind hat durch seine Offenheit und Kreativität die Fähigkeit, schwierige Situationen zu meistern oder besonders wahrzunehmen. Huber erwähnte in früheren Reden, dass seine Eltern, beide Architekten, ihn am Wochenende in die kalten und nassen Rohbauten mitnahmen und von den warmen Räumen sprachen, die dort entstehen sollten. Im Bild AH-AH wird im Sichtfeld des Knaben der Rohbau grün. Neben der konstruierten Perspektive des dargestellten Raumes ist die Blickachse der Personen ein weiteres wichtiges Gestaltungselement. Der Junge blickt links ins Grüne hinaus, die Frau blickt auf den Rücken des Jungen. Wir blicken auf den Rücken der Frau, auf den Rücken des schaukelnden Jungen und verlängern die Blickachse ins Grüne hinaus. Der Betrachter erweitert Blickachse und räumliche Bezogenheit rückwärts aus dem Bild heraus. Hier liegt das Potential von AH-AH. In dem Anreiz, einen selbstreflektierenden Standpunkt zu finden und einen Blick außerhalb des eigenen Schutzraums zu werfen: An die Stelle zu treten, wo sich Erfahrung und Erlebnis nicht mit innerer Wahrnehmung und der vermeintlich glücklichen Kindheit decken. Die Blickachse führt durch die Türöffnung ins Grüne, in eine parkähnlichen Grünanlage mit Wasserbecken, Springbrunnen und Gebüsch. Den Springbrunnen findet man als Bildmotiv im Werk Hubers mehrfach. Im Frühwerk „Rede in der Schule“ (1984) ist er erotisch konnotiert, im künstlerischen Bauschild „Ein Öffentliche Bad für Münster“ (1987) ist das Motiv in den Kontext der Taufthematik gerückt.
Mit Grün wird Natürlichkeit und Frische assoziiert, es wirkt beruhigend, ohne zu ermüden. Grüne Räume können ausgleichend und sogar lärmdämpfend wirken. Der Blick ins Grüne ist niemals anstrengend. Eine beruhigende Wirkung geht von dem Grün in Thomas Hubers Werk allerdings nicht aus. Er ist sich der Ambivalenz der Farbe bewusst, wählt grün mit Bedacht und sagt, dass Grünmalen eine Herausforderung sei. Den wenigen grünen Bilder, die es in Hubers umfangreichen Oeuvre gibt, liegt eine spannungsreiche Intensität inne. In AH-AH wird die Spannung zur Sprengkraft zwischen Verstand und Gefühl. Auf sich selbst verwiesen tritt der Betrachter gleichzeitig melancholisch, still und leise schaukelnd hinter sich zurück. Der Schweizer Thomas Huber hält es ähnlich wie Ferdinand Hodler: „Über allen Werkzeugen des Sehens steht das Gehirn. Es vergleicht die eine Harmonie mit der anderen und entdeckt so die wirklichen inneren Zusammenhänge der Dinge.“