Eins und zwei und drei und vier, ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm.

Zu den rätselhaften Versuchsanordnungen von Susanne Britz.

Überdeutlich und humorvoll stellt Susanne Britz in ihren Fotografien, Pigmentdrucken und Installationen Alltagsgegenstände vor Augen, rätselhaft und spielerisch, so dass dem Betrachter angesichts dieser Präsenz manchmal schwindelig wird. Nach einer Weile stellt sich oft ein Aha-Effekt ein, wenn die Gegenstände in Britz Arrangement in ihrer unerwarteten Präsentationsweise erkannt werden.

Susanne Britz, die Bildende Kunst, Philosophie und Chemie studiert hat, kennt sich aus in künstlerischen und philosophischen Haltungen. In ihren bildnerischen Werken und Kunstinstallationen verbindet sie, wie die Künstlerin Meret Oppenheim (1913–1985), Alltagsobjekte mit einer sinnlich-surrealistischen Komponente. Spielerisch und mühelos scheint Britz Werke zu schaffen und geht dabei wilder vor als Oppenheim. Britz verbindet in ihren mehrteiligen Installationen Alltagsgegenstände in grellen leuchtenden Farben aus den Bereichen Haushalt (Wäscheständer, Putzutensilien), Werkzeuge aus dem Atelier (Wasserwaage, Zollstock, Hammer) mit  Gegenständen aus dem Bereich Spiel und Sport (Plastikfiguren, Federball, Skier). Gleichzeitig kommt in vielen Werken eine Transparenz hinzu, die von den Transformationen von einem Medium in das nächste herrühren: Fotografien, digital überzeichnet, werden zu Pigmentdrucken. Großformatige Drucke werden auf milchige Backlit Folie gedruckt, diese werden wiederum an Magnetleisten und auf Projektionsleinwänden fixiert und finden sich so im Raum wieder.

Britz hat ein großes Vertrauen in die Intuition, in das Unbewusste einerseits, und ein tiefes Bewusstsein für die Kunstgeschichte und konzeptuelle Fragen auf der anderen Seite.  Während die Dadaisten und Surrealisten noch die Frage der Ebenen zwischen Bild und Text im Fokus hatten, und was es bedeutet Sprache zu nutzen, führt Britz mit ihren „Modulen“ Artefakte diverser Medien gleichberechtigt zu einem diskursiven Gesamtbild zusammen.In ihrer Installation Meta´s Labor nennt Britz beispielsweise die Projektionsleinwand, den Tapeziertisch, die Lampe und den Hüpfball ein „Grundmodul“.

Eine Strategie in Britz künstlerischemSchaffen ist, dass sie ihr eigenes Bezugssystem erschafft:absurde, jeder Logik widersprechende Formeln, mit denen sie Fotos digital überzeichnet: Pfeile, Zahlen und frei eingezeichnete Maßstäbe geben ihren „Bildnerischen Versuchsanordnungen“, Fotos und Pigmentdrucken ein eigenes Bezugssystem. Hier scheint sich ein Widerstandsgeist gegen Versuchsanordnungen in der Schule und gegen jede Art von überlieferter, geglaubter Wissenschaft auszurücken.

Performance zu Meta´s Labor #2, seit 2010 Installation aus überzeichneten Fotografien auf unterschiedlichen Materialien, einem Tapeziertisch, einer Projektionsleinwand, einem Hüpfball und einer Lampe als auch Gebrauchsmaterialien aus dem Inventar der Künstlerin sowie Gegenständen des Ausstellungsortes, Maße variabel (im Rahmen der Ausstellung „Lockere Wolken“, Galerie Parterre, Berlin, 2016)

Meta´s Labor

Während im ursprünglichen Sinne das Atelier eine Produktionsstätte von Kunst ist, erscheint die Installation Meta´s Laboreher wie eine moderne Alchemistenküche mit Konsumartikeln, die ihre Versprechen in sich tragen. Den Begriff Metaverwendet die Künstlerin bewusst in einer Doppeldeutung: Einerseits die naheliegende Verbindung zur Metaphysik, andererseits hat er einen biographischen Bezug: es ist der Name ihrer Großmutter. Britz sagt, sie beziehe sich auf eine „subjektive bildnerische Grundlagenforschung“ und entwickelt für alle ihre Ausstellungsorte eigene Konzepte, je nach Raum und Künstlerin immer wieder verändert und teilweise neu gestaltet. Britz arbeitet ständig an ihrem Werk. Ihre Objekte und Installationen sind vom Betrachtenden als offene Kunstwerke zu erleben, die durch die Gesamtinstallation zu einem Gesamtkunstwerk werden.

Britz Laborsituationen sind analog zum Mythos vom „Atelier des Künstlers“ mit dem schöpferischen Prozess verknüpft. Die Künstlerin steht nicht vor ihrer Staffelei, die Künstlerin tritt mit Schutzbrille im Labor auf, und stellt an einer Zuckerwattemaschine für die Besucher*innen rosa und hellblaue Zuckerwatte her. Sie spricht von „Zuckerwattewolken“; hier wird deutlich, dass sie die Lebenswelt durch Zusprechen von Eigenschaften und Überschreibungen überformt.

Trockenanlage_2, 2019. Mehrteilige Installation aus Alltagsgegenständen (Wäscheständer, zwei Wäschespinnen, Reagenzglashalter und Expander, Kinder- und Tierspielzeug sowie diversen Sportgeräten) an transparentem Hängeseil, 250 x 200 x 100 cm (im Rahmen der Ausstellung „Versuch und Irrtum“, Prolog X9, c/o Kunstpunkt, Berlin, 2019)

Wäscheständer versus Flaschentrockener

Britz Verwendung  von Wäschetrocknernverweisen auf den Flaschentrockner (1914) von Marcel Duchamp (1887–1968). Der Flaschentrockner Duchamps war sein erstes Readymade (Fertig-Ware), bei der er ein industriell in Massenproduktion hergestelltes Metallgestell zur Flaschentrocknung zur Kunst erklärte. Britz jedoch präsentiert den Gegenstand nicht solitär, sondern führt ein komplexes Arrangement vor, bei dem der Wäscheständer umgedreht aufgehängt und mit anderen Gegenständen kombiniert wird.Indem die Künstlerin Gegenstände an einem Seil austariert, schafft sie labile Schwebezustände. Herausgelöst aus ihrem ursprünglichen Gebrauchszweck, werden diese durch die Anordnung, Kombination und Art der Befestigung mehrdeutig aufgeladen. Britz Interesse gilt der Nutzung und Kombination von Konsumartikeln. Sie lehnt die konventionelle Nutzung des Gegenstandes und somit eine vorgegebene Haltung zum Material ab. Britz, die mit ihren überzeichneten Fotografien mit dem Kunstpreis „Junger Westen“ (2009) und dem „Losito Kunstpreis“ (2018) mit dem Thema Integration ausgezeichnet wurde, stellt die Dinge kurzerhand auf den Kopf.

urban biotic project, 2006, interaktive Installation. Acht Wäschespinnen, acht Pools, Wäscheklammern, farbiges Klebeband (im Rahmen der „48 STUNDEN NEUKÖLLN“, Innenhof, Karl-Marx-Str. 193, Berlin)

In ihrem Projekt „urban biotic project“ (2006) setzt Britz erstmals Wäschespinnen ein. Acht Wäschespinnen stehen in einem Neuköllner Innenhof in acht mit Wasser gefüllten Planschbecken. Besucher planschen und hängen ihre nasse Wäsche auf. Das ging aber nur, wenn sie in den wassergefüllten Planschbecken stehen. Das Gefühl von Feuchtigkeit, wenn man Wäschestücke hängt, ist nicht nur an den Händen sondern auch an den nassen Füßen zu spüren. Dieser Zusammenhang oder diese Umkehrungen sind auch Verweis auf das Sinnbild der Tradition des Absurden.

Susanne Britz verwendet auf die Befestigung ihrer bildnerischen Anordnungen sehr viel Zeit. Häufig erschafft sie labile Schwebezustände und tariert die Gegenständean einem Seil aus. Die Befestigung und die Verbindung der Gegenstände sind ein wichtiger Topos in Britz Oeuvre, dazu gehören: heften, kleben, hängen, klemmen, justieren, aufpieksen, fädeln, stellen, ineinander stecken, türmen, pinnen mit Magneten und Nädelchen und fixieren mit Klebeband. Bei Christo und Jeanne-Claude (beide *1935) werden die Objekte erst nach dem Verhüllen wieder als etwas Gewöhnliches sichtbar. Der künstlerische Akt von Britz liegt primär in dem Auswählen bzw. in dem Erkennen des künstlerischen Potenzials eines Alltagsgegenstandes, und dem, was, wie und wo er mit anderen Dingen befestigt und arrangiert wird. Damit wird der traditionelle Kunstbegriff ironisiert. Britz verweigert sich zudem eindeutiger männlicher, weiblicher, emanzipatorischer oder feministischer Haltungen.

 

Mit der Assemblage „Erst das Ei, dann die Henne“ (Pigmentdruck, 2019) ist ein psychoanalytischer Ansatz in Britz Werk zu finden. Neben der Idee des Ursprungs, hier als philosophische Grundfrage in dem Titel angesprochen, findet in dem Arrangement von Gegenständen ein dialektisches Wechselspiel aus männlichen und weiblichen Formen statt. Und: Ein weiches Material (grüner Massageball mit Noppen) steht einem harten weißen Material (zwei Eierbecher, die eine runde Porzellanvase unten und oben fixieren) gegenüber. Ovale und phallusförmige Gegenstände, wie z.B. grüne Fischschwanzflosse von einem Kinderpuzzle,sind so arrangiert, dass sie zu Gliedern werden. Das Oval des grünen Kurvenlineals – eine weiblichen Form – ist im Bildaufbau mittig positioniert. Das Arrangement der Gegenstände ist skizzenhaft mit Linien und Zahlen in Rot und Grün überzeichnet. Diese binden die einzelnen Gegenstände in einer figurativen Weise und man meint, einen potenten Hahn oder einen Hasen zu erkennen, aber eben keine Henne, wie im Titel angedeutet. Die skizzenhaften Zahlen 1,2,3,4 verweisen auf die Zeit und lassen eine Eieruhr imaginieren.

Die Gegenstände, die Britz verwendet, werden aus ihrem ursprünglichen Gebrauchszweck gelöst und durch die Anordnung, Kombination und Art der Befestigung neu aufgeladen. Das Szenario irritiert und wirft Fragen auf.  Ihr künstlerischer Prozess erinnert an ein Denken, das sich nicht absichert, wie es auch die Philosophin Hannah Arendtals „Denken ohne Geländer“ beschreibt – als ein Denken, das sich nicht absichert und ein Wagnis ist. Nur so lassen sich ihre spielerischen Installationen und bildnerischen Versuchsanordnungen erklären, die auf einer eigenen Ästhetik und Wahrnehmung beruhen. Mit Britz innerbildliche Logik, die sowohl von einem wilden Denken als auch einem intuitiv, kindlichem Gestaltungsdrang geprägt sind, erfährt jedes Detail in ihrem künstlerischen Werk eine besondere Aufladung.

Der Text von Beate Klompmaker erschien zu einer Publikation der Künstlerin, weitere Informationen zum Werk der Künstlerin sind auf der Webseite http://www.susannebritz.de zu finden.

Fotos: Susanne Britz/VG-BildKunst, Foto Portrait: Kathrin Schik

vor 5 Jahren