Der Rote Fries in Le Bazacle –Toulouse

Thomas Huber – Der Rote Fries in Le Bazacle  

Aus rotem Ziegelstein gebaut liegt die ehemalige Mühle Bazacle am Ufer des Flusses Garonne im Herzen von Toulouse. Das L’Espace EDF Bazacle beherbergt heute einen temporären Ausstellungsraum sowie das Elektrizitätsmuseum samt Wasserkraftwerk. Während an diesem Ort im 13. und 14. Jahrhundert einst erste Aktien gehandelt wurden, so verhandelt der Künstler Thomas Huber hier während der Biennale Fragen der Kunst, des Bildes und der Malerei anhand von Bild und Text.

Eine 24 Meter lange freistehende Wand durchkreuzt den Ausstellungsraum. Sie ist hüfthoch mit einem ein Meter breiten Wandfries, einem gemalten roten Band, farbig gestaltet. Darüber hängen auf beiden Seiten 27 Ölbilder. Auf den Bildern ist dieser Fries als Motiv in derselben Farbe dargestellt. Als regelmäßig wiederkehrendes Bildmotiv findet sich dieser Fries im Werk von Thomas Huber. Stellt Huber Ölbilder mit dem Friesmotiv aus, hat er in Europas Ausstellungshäusern häufig Wandgestaltungen mit derselben, dem Fries in den Bildern entsprechenden Farbe vornehmen lassen. Diese abgestimmte Farbe ist im Archiv des Künstlers verwahrt. Neben Konzeptionen für Ausstellungsräume nutzt Huber den Fries auch im Bereich Kunst-am-Bau, um öffentliche Räume und Etagen zu strukturieren. Ein besonderer Typus in seinem Werk stellen Räume mit Friesgestaltungen dar, in denen sich zwei Gemälde auf Staffeleien gegenüber stehen und in Dialog treten. 

Der Rote Fries ist Titel der gezeigten 27 römisch durchnummerierten Ölbilder, die präzise in Ölfarbe mit glattem Farbauftrag gemalt sind und immer um die gleichen Bilderfragen kreisen, das Bild an sich thematisieren und die Grenzen der Malerei im Verhältnis von Bild und Betrachter ausloten. Der Rote Fries lautet auch der Titel eines Leporellos, in dem Huber diesen Bildern jeweils einen Text zur Seite stellt. Es liegt als Freiexemplare in französischer und englischer Übersetzung in der Ausstellung vor. Huber, der Text und Bild in seinem Schaffen gattungsübergreifend verbindet und mit sogenannten Künstlerreden, die er vor seinen auf Staffeleien stehenden Bildern vor Publikum hält, bekannt geworden ist, präsentiert in Toulouse erstmals eine neue Form der Didaktik: die Bilder und die Texte und mit ihnen sowohl Betrachter als auch Ausstellungsraum stehen in einem geschlossenen Dialog. Sie bilden die vier Seiten eines Quadrats – Bild, Text, Betrachter und Raum. Das Besondere ist, dass die Grenzen zwischen realem Raum und dargestelltem Bildraum verwischen. Die Rolle des Betrachters hat der Künstler längst vorgedacht und fordert ihn auf, im Spiel zwischen Fiktion und Fakt, gemalter Leinwand und geschriebener Sprache mitzuwirken. Der Leser/Betrachter wird von dem Inhalt des Textes, aber auch von Hubers unverkennbarer sprachlicher Ausdrucksweise, dem doppeldeutigen Wortgebrauch und Humor herausgefordert. Der Text und die Bilder kommentieren sich wechselseitig, sie erzählen von ihrer Entstehung, ihrer Betrachtung, ihrer Unsichtbarkeit, von Perspektiven, Verschachtelungen und kunstphilosophischen Zusammenhängen. Huber bezieht sich dabei auch auf Jean Gebsers Beschreibungen zur Bewusstseinsgeschichte und versucht ein gegenwärtiges distanziertes Verhältnis zu Bildern durch seine ganz eigene Bild- und Textsprache auszuhebeln. Es ist durchaus möglich, dass dieser erkenntnistheoretische und kunstphilosophische Dialog vor Ort überfordert oder einschüchtert – und deshalb ist es bequem, das Leporello kostenlos mit nach Hause nehmen zu können. 

Schon in den ersten Schlüsselbildern z.B. Die Rede in der Schule (1982) hat Thomas Huber in einem Innenraum der Kunstakademie Düsseldorf seine ganz eigene Bildstruktur angelegt. Nur in der Vorstellung des Betrachters fügen sich realer Raum und sichtbares Bild, Umgebung, Phantasie und Erfahrung zu einem neuen Bild. Begreift man dies, weiß man wie Werke von Huber angelegt sind. Von René Magritte kennt man das Bild-im-Bild-Prinzip, bei Huber kommt ein Raum-im-Raum-Prinzip hinzu. Huber stellt den realen Raum, in dem das Bild präsentiert wird und der Betrachter es anschaut, im Bild dar. Der Maler weist ausdrücklich und wiederholt darauf hin: Nicht vor dem Bild möge der Betrachter stehen bleiben, sondern im Bild soll er sein. In Hubers Motivik – Architektur und Bilderzählungen – kann man selten alles überblicken und verstehen. Auch seine Künstlerreden und Texte erklären nicht, sondern sind eigenständige Werke, die wie seine Vorzeichnungen und Aquarelle neben dem Hauptwerk eingereiht in einer seiner über 30 Werkgruppen stehen. 

Das Schlüsselbild der Ausstellung ist das Bild Le Bazacle – es ist das einzige Ölbild, das nicht an der von Huber konzipierten Wand mit der Friesgestaltung präsentiert wird. Das Bild Le Bazacle im Format 200 x 330 cm ist das neuste Werk des Künstlers und zeigt den Ausstellungsraum. Es ist ein eindrucksvoller architektonischer Ort mit Decken- und Bodenrauten. Er ist menschenleer – es gibt keine Besucher. Das Bild zeigt das Fensterpanorama mit dem freien Blick auf den Fluss und das gegenüberliegende Stadtpanorama von Toulouse. Ein Rednerpult befindet sich im Vordergrund des Bildes. Dieses Motiv steht für Hubers Text, den er in Form des Leporellos in dieser Ausstellung mitliefert. Die von Huber konzipierte Wand ist nicht im Bild zu sehen, sie ist verschwunden oder noch nicht da. Die Bilder, die im realen Raum präsentiert sind, stehen hintereinander gelehnt an den Säulen oder sie liegen auf Haufen am Boden. Die umgedrehten Leinwände mit Sicht auf die stabilisierenden Keilrahmen aus Holz sind ein häufiges Bildmotiv in Hubers Werk. Wiederholt wurde es als Bilderskepsis interpretiert.

Nur ein Bild ist dem Betrachter mit der Vorderseite zugewandt. An einer Säule lehnt um 90 Grad gedreht Der Rote Fries II. Es zeigt die eingebaute Wand mit dem Fries. Dieses Bild verweist laut Huber auf ein Gemälde von Barnett Newman, der seine Bilder auch als Verhältnis von Bild und Betrachter sah. Newmans Bilder waren so groß, dass die Bildflächen, wenn man vor Ihnen stand, unüberschaubar waren. Bei naher Betrachtung wirkte das Bild wie ein Objekt im Raum. Mit der Darstellung der dreidimensionalen Wand zitiert Huber mit einem Augenzwinkern die Bildauffassung der amerikanische Farbfeldmalerei der 60er Jahre. 

Doch der Begriff des Unüberschaubaren trifft auch bei der Betrachtung von Hubers Bildern zu. Steht man vor Hubers Bild wird man zu einem Handelnden. Man möchte die Raumperspektive im Bild mit der realen Perspektive abgleichen – doch die eingebaute Wand verwehrt den Blick. Hier beginnt Hubers Spiel, der diese Verschiebungen beabsichtigt. Man muss um die Wand im Ausstellungsraum herumgehen, um die Perspektiven des Raumes und auch einzelner Bilder in der Vorstellung zusammenzufügen. Der Blick über die Schulter ist charakteristisch beim Betrachten von Hubers Werk. Der menschenleere Ausstellungsraum bietet dem Besucher keine naheliegende Identifikation im Bild. Auf sich selbst geworfen verändert der Betrachter ständig seinen eigenen Standpunkt vor dem Bild.

„Der Betrachter ist im Bild“, so lautet Hubers Aufruf, „er solle eintreten!„. Ein Bild entsteht in der Vorstellung des Betrachters und der Ausstellungsraum wird zum Bildraum, in dem er sich selbst wieder findet. – Der Rote Fries gibt der Ambivalenz, die zwischen Bild, Betrachter und Raum besteht einen Rahmen.

  • Auszug aus: Beate Klompmaker: Der Rote Fries au Bazacle, in: La revue A( ) C 1, Festival International d’Art Toulouse, Editions Courtes et Longues, Paris 2014, (fr, en), S. 97-112.
vor 6 Jahren